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Professor Dr. Miklós Bálint Pioniere der Biodiversitätsgenomik

© Sascha Mannel

Prof. Bálint, Sie sind seit Oktober 2020 als Leiter des Programmbereichs Funktionale Umweltgenomik des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt am Main tätig: Können Sie uns etwas zu Ihrer Arbeit erzählen? Was mich im Rahmen meiner Forschung besonders beschäftigt ist, wie sich ökologische Gemeinschaften an ihre Umgebung anpassen. Ökologische Gemeinschaften sind Arten, die zur gleichen Zeit in einem Gebiet zusammenleben und oft miteinander in Wechselwirkung stehen. Die wichtigste Frage für uns ist dabei, wie sich diese Gemeinschaften durch den Einfluss des Menschen verändern und was diese Veränderung in Zukunft für uns bedeuten könnte.

Klimawandel, Umweltverschmutzung und die Einführung exotischer Arten sind einige der wesentlichsten Einflüsse, die wir im Hinblick auf ökologische Gemeinschaften beobachten können.

Dabei sind für meine Arbeitsgruppe und mich Böden von besonderem Interesse, weil diese für die Nahrungsmittelproduktion unerlässlich sind und starken Einfluss auf deren Qualität haben. Es ist wichtig, dass wir die Böden so bewirtschaften, dass ihre Fähigkeit, zum menschlichen Wohlergehen beizutragen, erhalten bleibt. Das hängt eng mit der Vielfalt der Bodenorganismen zusammen. Es gibt eine enorme Fülle an winzigen Milben, Würmern und Springschwänzen, die unter unseren Füßen leben, miteinander interagieren und zur Bodengesundheit beitragen. Man schätzt, dass es über eine Million Milbenarten auf der Erde gibt. In der Vergangenheit war es uns aufgrund ihrer großen Vielfalt unmöglich, alle Arten zu identifizieren. Heute können wir mit molekularen Werkzeugen die DNA dieser Tiere untersuchen und herausfinden, wie sich ihre Lebensgemeinschaften durch den Einfluss des Menschen verändern. So verstehen wir die Auswirkungen von Umweltveränderungen auf Bodengemeinschaften viel besser als bisher.

Wieso ist es wichtig auch auf dem Gebiet der Biodoversitätsgenomik Grundlagenforschung zu betreiben? Welchen Nutzen hat die Gesellschaft davon? Forschung im Allgemeinen verbessert unser Verständnis der Welt und ermöglicht es uns, genauere Vorhersagen über die Folgen von Ereignissen zu treffen. Die Trennung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung ist dabei nicht wirklich einfach. Ein Großteil der Grundlagenforschung konzentriert sich auf Phänomene, die für den Menschen, also die Gesellschaft, wichtig sind. So entschlüsseln wir z. B. im Rahmen des Forschungsprojekts PhytoArk, das von der Leibniz-Gemeinschaft gefördert wird, DNA aus Ostseesedimenten, die sich vor langer Zeit auf dem Seeboden abgelagert haben. Aus ihrer Zusammensetzung können wir verstehen, welche Arten dort vor hunderten bzw. tausenden von Jahren lebten. Wenn wir nun diese historischen Lebensgemeinschaften mit ihrer historischen Umgebung in Beziehung setzen, können wir daraus die ökologischen Folgen für die Umwelt vorhersagen. Sie erlauben uns zum Beispiel, von vergangenen Klimaveränderungen auf die ökologischen Auswirkungen der aktuellen Klimaerwärmung zu folgern. Obwohl man sagen könnte, dass es sich hier eigentlich um Grundlagenforschung handelt, ist einer der Partner die Helsinki Comission, deren Hauptinteresse es ist, herauszufinden, ob die Ergebnisse der Sediment-DNA ihre jahrzehntelangen Biomonitoring-Aktivitäten zum Schutz der Umwelt in der Ostsee verbessern können.

Was denken Sie, was Sie durch die LOEWE-Forschungsförderung erreichen können, was ohne diese nicht möglich gewesen wäre? Die Biodiversitätsgenomik ist ein sehr junges und gleichzeitig sehr schnell wachsendes Feld. Viele Organisationen erkennen das enorme wirtschaftliche und naturwissenschaftliche Potenzial der Informationen aus den Genomen der Millionen von Arten, die die Erde bevölkern. Auch durch die LOEWE-Förderung gehören wir mittlerweile zu den „Pionieren“ in der Biodiversitätsgenomik und „spielen ganz vorne mit“. Zudem ist die Zahl der Biodiversitätsgenomiker:innen, die in Hessen forschen durch TBG zu einer international relevanten Anzahl angestiegen. Mit diesem„Pool“ an unterschiedlicher Expertisen  können wir komplexe Fragestellungen bearbeiten, die für einzelne Wissenschaftler:innen unerreichbar wären. So liefert meine Forschung an Bodentieren z. B. wichtigen Input für Kolleginnen und Kollegen, die sich für biologisch aktive Naturstoffe interessieren, die von den Mikrobiomen dieser Tiere kodiert werden. Ohne die Hilfe von Laborkollegen und Bioinformatikern wäre ich wiederum nicht in der Lage, die Genome von Hunderten dieser Arten zu sequenzieren und zu analysieren usw. Die LOEWE-Forschungsförderung hat es uns also ermöglicht eine lebendige, kollaborative und international relevante Wissenschaftskultur rund um die Biodiversitätsgenomik zu etablieren.

Und wir haben gerade erst begonnen, die ersten Ergebnisse dieser Kooperationen zu ernten.

Wissenschaftler: in ist man meist aus Leidenschaft für den Beruf, das bedeutet aber auch, dass es oft schwer ist zwischen Arbeit und Freizeit zu unterscheiden. Wie schalten Sie ab? Um abzuschalten gehe ich laufen und nutze den Sport gleichzeitig zur Erkundung der näheren Umgebung, um neue Orte und Sehenswürdigkeiten zu entdecken. Auch bin ich immer wieder erstaunt, wie viel Wildtiere man in einem hessischen Wald an einem frühen Sonntagmorgen sehen kann. Um mehr Zeit zum Spielen mit meinen Kindern zu haben, versuche ich mich zu ent- oder zu beschleunigen, je nachdem aus welcher Perspektive man das Thema betrachtet. (lacht, Anmerkung der Redaktion).

Welchen Ort auf der Welt würden Sie gerne bereisen, weil er sich durch eine besondere Biodiversität auszeichnet und dort nach Herzenslust forschen? Das wäre Papua-Neuguinea, ein Gebiet mit erstaunlicher natürlicher und kultureller Vielfalt. Ein Paradies für Wissenschaftler wie mich.

Zur Person

  • Leiter des Programmbereichs Funktionale Umweltgenomik am LOEWE-Zentrum TBG
  • lehrt an der Justus-Liebig-Universität Gießen

Erschienen in ProLOEWE NEWS

Ausgabe 02.2021 / Juli

Themen

Titelthema der aktuellen Ausgabe: „Wie können wir hessische Wälder für längere Trockenperioden und die aller Voraussicht nach immer öfter bevorstehenden Hitzesommer fit machen?“, mit dieser Frage beschäftigt sich das LOEWE-Zentrum TBG. Passend zum Thema Hitze: die kurz bevorstehenden, hessischen Sommerferien. Am 2. August startet die ProLOEWE-Wissenschaftsrallye unter proloewe.de und bietet ein spannendes Ferienprogramm für Kinder ab 10 Jahren und ihre Familien. Drei neue LOEWE-Schwerpunkte ab Januar 2022 und zwölf Forschungsprojekte der neuen Förderlinie „LOEWE-Exploration“ sowie viele weitere Themen.

ProLOEWE persönlich

Prof. Dr. Miklós Bálint, Leiter des Programmbereichs Funktionale Umweltgenomik des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik, im Portrait.

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