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ProLOEWE Persönlich

Professor Dr. Stephan Becker Wettlauf gegen die Viren

© Rolf K. Wegst

Herr Professor Becker, Sie sind seit 2020 Sprecher des LOEWE-Zentrums DRUID, gehören aber zum Gründungsteam. Wie kam es zu der Idee „ausgerechnet“ hier in Hessen ein Zentrum zu etablieren, das sich mit Tropenkrankheiten beschäftigt?

Es gibt in Hessen eine beträchtliche Anzahl an Forschungsgruppen, die sich mit vernachlässigten tropischen Krankheitserregern, vor allem Parasiten, beschäftigten. Frau Prof. Katja Becker, die jetzige DFG-Präsidentin, ergriff in den Jahren 2013–2014 die Initiative, diese Gruppen zusammenzubringen, um ein gemeinsames Forschungsprogramm zu entwickeln. Zu etwa derselben Zeit fand in Westafrika ein großer Ebola-Virus-Ausbruch statt, an dessen Eindämmung Virologinnen und Virologen der Philipps-Universität Marburg beteiligt waren. Der Ausbruch löste in der Region aber auch weltweit große Verunsicherung aus und weckte so in der Öffentlichkeit und Politik die Aufmerksamkeit für tropische Infektionserkrankungen. Die Gründung von DRUID war dann ein Zusammenschluss der in Hessen vorhandenen wissenschaftlichen Expertise, um vernachlässigte tropische Erkrankungen schlagkräftig zu bekämpfen. 

Ihr Forschungsschwerpunkt ist die virologische Grundlagenforschung, im 2011 gegründeten DZIF leiten Sie den Bereich „Emerging Infections“, können Sie uns etwas über Ihre Arbeit erzählen? 

Mein Forschungsinteresse zielt auf Viren, die unerwartet Ausbrüche verursachen. Dabei handelt es sich entweder um für den Menschen neue oder bekannte Viren, die sporadisch Ausbrüche auslösen und danach wieder verschwinden, um genauso unerwartet wiederaufzutauchen. Solche Viren bezeichnet man als „Emerging Viruses“. Mein Interesse an diesen Erregern hat auch einen historischen Hintergrund: Hier in Marburg ereignete sich 1967 der Ausbruch einer tödlichen Infektionserkrankung, deren Ursache man zunächst nicht kannte, die aber offensichtlich von Afrikanischen Grünen Meerkatzen auf Menschen übertragen wurde. Affen wurden damals für die Impfstoffherstellung benötigt. Marburger Virologen, gemeinsam mit Kollegen aus ganz Deutschland identifizierten schließlich den Erreger, der  nach seinem Entdeckungsort Marburg-Virus genannt wurde. Seither hat sich das Marburger Virologische Institut zu einem Exzellenzzentrum für die Arbeit an solchen tropischen Viren entwickelt. Weitere  prominente Beispiele solcher Viren sind das Ebola-Virus, aber natürlich auch das SARS-Coronavirus, das die Corona-Pandemie ausgelöst hat. Gemeinsam ist diesen Viren, dass sie von Tieren auf Menschen übertragen werden und schwere Erkrankungen auslösen, während sie für die Wirtstiere häufig ungefährlich sind. In dem DZIF Bereich „Emerging Infections“ entwickeln wir Impfstoffe und Medikamente, aber auch neue diagnostische Methoden gegen Emerging Viruses. So haben wir z. B. an der Entwicklung eines Impfstoffes gegen Ebola-Virus mitgearbeitet und entwickeln Impfstoffe gegen MERS-Coronavirus, das von Kamelen auf Menschen übertragen wird und in Saudi-Arabien vorkommt.

Das hessische Forschungsförderungsprogramm LOEWE gibt es seit 2008, was denken Sie konnte durch dieses bundesweit einmalige Format für die Grundlagenforschung erreicht werden, das sonst nicht möglich gewesen wäre?

In Abkürzung „LOEWE“* versteckt sich der Begriff „Exzellenz“ und das ist zugleich Beschreibung und Herausforderung für die hessische Forschungslandschaft. Ich sehe in den vielen durch LOEWE geförderten Projekten zum einen ein Zeugnis für das große Interesse von hessischen Forscherinnen und Forschern sich einem intensiven Begutachtungsprozess zu unterziehen, um ihre Forschungsideen Wirklichkeit werden zu lassen. Weiterhin die hervorragende Möglichkeit, hessische Wissenschaftler:innen miteinander zu vernetzen – es gibt eine große Anzahl von LOEWE-Schwerpunkten, an denen verschiedene hessische Hochschulen beteiligt sind. Schließlich unterstützt LOEWE die Anschlussfähigkeit an die nationale, europäische und internationale Wissenschaft. Gleichzeitig fördert das LOEWE-Programm auch die Schritte, die erfolgen müssen, um die Erkenntnisse der Grundlagenforschung in die Anwendung zu bringen, um damit das Leben von Menschen zu verbessern. Das können, um in meinem Bereich zu bleiben, neue Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten oder bessere Diagnostikmethoden sein, oder neue Wege um Medikamente schneller zu entwickeln. So gibt es etwa im LOEWE-Zentrum DRUID eine Vielzahl von Forscherinnen und Forschern, die nur in enger Zusammenarbeit mit anderen DRUID-Partnern und deren technologischer und wissenschaftlicher Expertise ihre Ideen voll entfalten können.  

März 2023, drei Jahre nach den ersten Corona-Fällen in Deutschland – wagen Sie eine Prognose?

Das Bild, das uns die Kristallkugel zeigt, ist immer mehrdeutig und verschwommen, aber es lässt sich mit relativ großer Sicherheit vorhersagen, dass wir in etwas mehr als einem Jahr die schwersten Folgen der Pandemie überstanden haben sollten. Durch die ultraschnelle Entwicklung von neuen Impfstofftechnologien in den letzten zwei Jahren ist es möglich, die vorhandenen Impfstoffe schnell an neue Varianten des Coronavirus anzupassen. Das wird nötig sein, weil das Virus, sobald der Großteil der Weltbevölkerung geimpft oder genesen ist, wahrscheinlich weiterhin Varianten entwickelt, die durch die aktuellen Impfstoffe nicht mehr abgedeckt werden. Auf der anderen Seite wird es neue wirksame Medikamente geben und wir werden uns dann in einer Phase befinden, die sich am ehesten mit dem saisonalen Auftreten der Grippe vergleichen lässt. Das Coronavirus wird nicht verschwunden sein, aber wir werden deutlich besser damit leben können. Um einen solchen Zustand zu erreichen, ist es dringend erforderlich, dass die Impfbereitschaft in der Bevölkerung besser wird und sich dann auf einem hohen Niveau einpendelt.   

Was denken Sie, wenn Sie auf die erste Pandemie, die die meisten von uns mit Corona erlebt haben und auch im Hinblick auf das Forschungsthema von LOEWE-DRUID blicken, wie wird sich die Welt in den nächsten 100 Jahren entwickeln?

Ich glaube, dass Pandemien zu unserem Alltag gehören werden. Unsere Welt ist so eng vernetzt, dass sich Infektionskrankheiten, besonders solche, die durch die Luft übertragen werden, in demokratischen Gesellschaften in ihrer Ausbreitung zwar unterdrücken, aber kaum vollständig aufhalten lassen. Wir sehen auch, dass Reisebeschränkungen im besten Fall die Ausbreitung verzögern. Es ist auf der anderen Seite schwer vorstellbar und auch nicht zu wünschen, dass die Globalisierung zurückgedreht wird. Wir müssen also Wege finden mit Pandemien zu leben. Einige Ansatzpunkte dazu lassen sich in meinem Feld schon jetzt erkennen. Es werden Medikamente und Impfstoffe entwickelt, die gleichzeitig gegen mehrere verwandte Coronaviren wirken. Etwa indem Ähnlichkeiten der Viren bei den Enzymen, die das Genom vermehren, ausgenutzt werden, um einen Hemmstoff gegen viele Coronaviren zu entwickeln. Tritt ein neues Coronavirus auf, besteht dann eine recht große Wahrscheinlichkeit, dass auch dieses empfindlich gegen den Pan-Coronavirus-Hemmstoff ist.  

Sie haben als Wissenschaftler einen Beruf, der viel von Ihnen fordert und bei dem oft nicht klar ist, ob die Ziele die man sich als Ergebnis gesteckt hat, auch erreicht werden können – was treibt Sie an?

Was den Beruf des Wissenschaftlers oder der Wissenschaftlerin so besonders macht, ist die Möglichkeit seiner Neugierde freien Raum zu lassen und sich immer neue Ansätze auszudenken, wie eine Forschungsfrage gelöst werden kann und dann den sich aus der Lösung ergebenden neuen Frage weiter nachzugehen, „den Dingen auf den Grund zu gehen“. Dazu kommt für mich noch, dass in meinem Fachgebiet die Möglichkeit besteht, die durch die Forschung gewonnene Expertise zu verwenden, um konkrete Lösungen für reale Probleme anzustreben. So kann man z. B. daran mitarbeiten, dass schnell Therapien für neue Infektionskrankheiten entwickelt werden, oder dass die Voraussetzungen geschaffen werden, um in Pandemiesituationen schnell handlungsfähig zu werden. So ist es für uns essenziell, dass wir unsere Laborinfrastruktur, das sind BSL-3 und BSL-4 Labore, zur Erforschung neuer, möglicherweise sehr gefährlicher Viren immer einsatz- und leistungsfähig halten. Dazu gehört auch, die spezielle und langwierige Ausbildung von technischem und wissenschaftlichem Personal zu unterstützen und voranzutreiben, um in kürzester Zeit auf neue Herausforderungen reagieren zu können.

* LOEWE steht für „Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz“. 

Erschienen in ProLOEWE NEWS

Ausgabe 3.2021 / Dezember

Themen

In dieser Ausgabe der ProLOEWE-NEWS stellen wir Ihnen zwei neue Ringvorlesungen zum Wintersemester 2021/2022 der LOEWE-Schwerpunkte Religiöse Positionierung und Architekturen des Ordnens vor, die man auch online besuchen kann. Außerdem ein positives Fazit als Ergebnis der Evaluation von Fokusgruppen bei der Erforschung nachhaltiger Mobilität im Rahmen des LOEWE-Schwerpunkts IDG, ein Artikel zum ersten internationalen Workshop zu Datenspeicherung in molekularen Medien und mehr.

ProLOEWE persönlich

Professor Dr. Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie an der Philipps-Universität Marburg und Sprecher des LOEWE-Zentrums DRUID im Portrait.

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