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ProLOEWE Persönlich

Dr. Maria Barbarossa Mit Mathematik gegen die Coronapandemie

Dr. Barbarossa entwickelt mathematische Modelle, die zum Verständnis und Vorhersage der Verbreitungsdynamik von Infektionskrankheiten in unserer global vernetzten Welt beitragen.
© Mathias Daum

Frau Barbarossa, Sie sind seit 2020 Fellow und Forschungsgruppenleiterin des LOEWE-Schwerpunkts CMMS (Zentrum der Mehrskalen-Modellierung, Analyse und Simulation biologischer Prozesse) am FIAS in Frankfurt am Main (Frankfurt Institute for Advanced Studies). Können Sie uns etwas zu Ihrer Arbeit dort erzählen? Meine Gruppe entwickelt mathematische Modelle und Methoden, die zum Verständnis von Multiskalenprozessen, das sind Prozesse, die auf mehreren räumlichen und zeitlichen Skalen ablaufen, in der Immunologie und der Dynamik von Infektionskrankheiten beitragen. Das heißt, wir erstellen z. B. Prognosen, durch die wir mit einer ziemlich hohen Wahrscheinlichkeit die Entwicklung und Ausbreitung einer Epidemie voraussagen können. Dafür verbinden wir theoretische Ansätze mit klinischen und experimentellen Daten. Unsere aktuellen Projekte dienen u. a. zum Verständnis von Homöostase (Gleichgewicht in beliebig kleinen oder großen Systemen), Infektion und Inflammation (z. B. im frisch genehmigten Cluster ENABLE), von Sepsis und systemische Entzündungen (SCIDATOS, mit Uni Heidelberg) sowie von der Ausbreitung von COVID-19 und deren Kontrolle.

Fast zeitgleich mit dem Antritt Ihrer neuen Stelle breitete sich Corona als Pandemie weltweit aus. Wie hat das Ihre Arbeit beeinflusst? Massiv. Noch kurz bevor ich offiziell meine Arbeit in Frankfurt aufgenommen hatte, durfte ich Dank der Unterstützung des FIAS-Vorstands und dem Leiter des „Jülich Supercomputing Center“ Thomas Lippert, mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Forschungszentrum Jülich eine enge Kooperation zum Thema Corona-Ausbreitung starten. Seit März 2020 haben wir uns mit den deutschen Daten zur Pandemie beschäftigt. Während wir Anfangs die Wirkung nicht-pharmazeutischer Kontrollmaßnahmen (z. B. Kontaktreduktion in der Bevölkerung) simulierten, arbeiten wir inzwischen auch an Modellen zu Impfstoffen und Virusvarianten. Unsere wöchentlichen Vorhersagen zu Fall- und Todeszahlen werden in den deutschen und europäischen Forecast Hubs abgebildet. Das Besondere, dass wir in diesem Projekt leisten, ist die Arbeit in Echtzeit. Etwas völlig anderes als die reguläre Mathematik-Forschung, aber für mich und alle anderen Beteiligten ist es unglaublich interessant und wir freuen uns, mit unserer Arbeit einen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie erbringen zu können.

Und auch wenn es, als ich meine Stelle angenommen hatte, nicht absehbar war, dass Covid-19 meine Arbeit fast 24 Stunden am Tag bestimmen würde, so lassen sich doch auch aus den Erkenntnissen der Forschung zur aktuellen Pandemie ausgezeichnete Schlussfolgerungen für das CMMS-Projekt ziehen. Hinzu kommt, dass sich das Thema sehr gut mit meinen Projekten zur Sepsisforschung verbinden lässt. Denn auch wenn jede Infektion zu einer Blutvergiftung führen kann, scheint eine solche Komplikation bei Patienten mit einem schweren Krankheitsverlauf von COVID-19 häufiger als sonst vorzukommen.

LOEWE-CMMS hat als langfristiges Ziel ein umfassendes Verständnis sowohl von einfachen molekularen biologischen Prozessen bis hin zum komplexen Verhalten von Organismen zu schaffen. Was denken Sie, können Sie durch die LOEWE-Förderung erreichen, was sonst nicht möglich gewesen wäre? Die LOEWE-Förderung ist eine großartige Chance, die mir und den anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch die finanzielle Unterstützung Unabhängigkeit in der Forschung ermöglicht. Besonders ist auch die interdisziplinäre Gestaltung der Forschungslandschaft in Frankfurt, durch die ich von Anfang an Anschluss an die experimentellen Kooperationspartner hatte. So konnten wir schon in diesem ersten LOEWE-Jahr, bestehende Forschungsprojekte erweitern und neue entwickeln. 

Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach die Grundlagenforschung für die Gesellschaft? Grundlagenforschung ist wesentlich für unsere Gesellschaft, denn sie ist die Basis für viele Ergebnisse in der angewandten Forschung, die oft erst Jahre später erreicht werden. Viele Beispiele dafür findet man in der Biologie und in der Medizin. Wenn man ein Projekt in der Grundlagenforschung startet, weiß man in der Regel nicht, wie weit und wie gut man zum Ziel kommen wird oder ob man es überhaupt erreicht. Das Schöne dabei ist, dass man oft aber auch zu überraschenden und unerwarteten Ergebnissen kommt.

Sie wurden 1984 in Italien geboren, mit Blick auf Ihre Vita haben Sie schon früh entschieden nach Deutschland zu gehen, wo Sie in verschiedenen Städten und Universitäten gearbeitet haben. War es ein bewusster Schritt hierher zu kommen und was hat Ihnen das beruflich und persönlich gegeben? Im Nachhinein würde ich sagen, es war eine Mischung aus zufälligen Ereignissen und dem bewussten Schritt – versetzt mit einer Prise Glück. Nach Deutschland kam ich 2005 durch das Erasmus Programm. Ich war Mathematik-Studentin in 5. Semester und durfte nach München, weil die TU München ein Erasmus-Partner der Università degli Studi di Perugia – meiner Heimatuniversität – war. In München konnte ich mich zum ersten Mal intensiv mit Anwendungen der Mathematik, insbesondere in den Lebenswissenschaften, beschäftigen. Natürlich hatte ich durch meinen Umzug auch die Gelegenheit Deutsch zu lernen und einen großen internationalen Freundeskreis zu gewinnen. Nachdem das Erasmus-Programm zu Ende war, bewarb ich mich für ein Masterprogramm an der TU München und blieb anschließend auch für die Promotion. Dabei hatte ich die Gelegenheit – und die Ehre – mit Karl Peter Hadeler (1936-2017), einem der deutschen Väter der mathematischen Biologie, zu arbeiten. Diese Zeit hat meine wissenschaftliche Richtung entschieden geprägt. Und obwohl ich während der Promotion und den ersten zweieinhalb Jahren meiner Postdoc-Zeit, die ich in Ungarn verbrachte, quer durch Europa, USA und Kanada reiste, fühlte sich Deutschland schon damals immer wie meine wissenschaftliche Heimat an: Das Land, wo ich auf Dauer leben und arbeiten wollte. In Heidelberg – meiner nächsten Station in Deutschland – hatte ich die Möglichkeit, mich tiefer mit mathematischen Ansätzen und Anwendungen in der Medizin und Immunologie zu beschäftigen und diese mit der Epidemiologie zu verbinden. Als unabhängige Gruppenleiterin am FIAS im Rahmen von LOEWE-CMMS kann ich diese Themen nun weiter entfalten und darauf freue ich mich sehr.


Zur Person

  • Nachwuchsgruppenleiterin "Mathematische Immunoepidemiologie" beim LOEWE-Schwerpunkt CMMS

Erschienen in ProLOEWE NEWS

Ausgabe 01.2021 / März

Themen

Seit 1. Januar werden vier neue LOEWE-Schwerpunkte gefördert. In der ersten ProLOEWE NEWS 2021 stellen wir sie Ihnen vor. Eine besondere Auszeichnung hat der LOEWE-Schwerpunkt BAMP! erhalten: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Projekts sind eingeladen zur Architekturbiennale 2020/2021 nach Venedig. Wie KI bei der Erforschung von Epilepsie helfen und wie man Verborgenes in der Natur sichtbar machen kann, erfahren Sie in den Berichten zu LOEWE-CePTER und LOEWE-Natur 4.0. Außerdem: Eine Vortragsreihe von LOEWE-TBG und Senckenberg die in diesem Jahr unter dem Titel „Bauplan der Natur – Wie Genomik unseren Blick auf die biologische Vielfalt revolutioniert“ steht.

ProLOEWE persönlich

Dr. Maria Barbarossa, Fellow und Forschungsgruppenleiterin bei LOEWE-CMMS, im Portrait.

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