LOEWE-Forschung

LOEWE 2019-2022 LOEWE-GLUE findet computergestützt neue Kopplungsstellen für Medikamente, ein Meilenstein im Kampf gegen Nebenwirkungen

Einem internationalen Forschungsteam unter Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des LOEWE-Schwerpunkts GLUE ist es gelungen, unter Zuhilfenahme mehrerer Softwares, neue Angriffspunkte für künftige Medikamente zu finden. Das Forschungsteam berichtete im Mai dieses Jahres im Wissenschaftsmagazin „Nature Communications“ über die Ergebnisse der Studie, die die derzeit umfassendste Analyse

von GPCR-Bindungstaschen darstellt. G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, kurz GPCR, bilden eine der größten Familien von Proteinen und sind an zahlreichen Lebensvorgängen beteiligt, wie zum Beispiel Entzündungen, der Verarbeitung von Sinnesempfindungen und der Wirkung von Hormonen. Das spiegelt sich auch in der Bedeutung dieser Proteine für die Medizin wider: Fast ein Drittel der rezeptpflichtigen Arzneimittel richtet sich gegen GPCR. „Um die Proteine zu blockieren oder zu stimulieren, benötigt man Wirkstoffe, die genau in eine der zahlreichen Bindungstaschen der Proteine passen“, erläutert Professor Dr. Peter Kolb von der Philipps-Universität Marburg, einer der Leitautoren des Fachaufsatzes. GPCR-Proteine dienen dazu, Signale von der Außenseite einer Zelle in deren Inneres weiterzuleiten, so dass die Zelle auf Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren kann. Um ihre Wirkung zu entfalten, koppeln Hormone und andere körpereigene Botenstoffe an die Bindungstaschen der GPCR-Proteine. Besetzt man die Bindungstaschen gezielt anderweitig, kann die Wirkung der Botenstoffe unterdrückt werden.

In der beispielhaften Darstellung eines GPCR-Proteins sind bereits bekannte (KS) sowie neu identifizierte Bindungstaschen (OS) verzeichnet, für die erst noch Kopplungspartner gefunden werden müssen.
© Janik Hedderich

Die bisher genutzten Kopplungsstellen ähneln einander jedoch häufig sehr stark“, führt Kolb aus; „deswegen wirken Arzneistoffe oft zu wenig selektiv“. Dadurch steigt die Gefahr von Nebenwirkungen. So verwendet man Betablocker, um ein GPCR-Protein im Herzen zu blockieren; schaltet man ein ähnliches Ziel jedoch im Lungengewebe aus, kann dies Asthmaanfälle auslösen. Wie Medikamente maßgeschneidert werden können, damit sie genau zu ihren Angriffspunkten passen und damit weniger häufig unbeabsichtigte Nebenwirkungen auslösen, daran forschen die Wissenschaftler:innen des LOEWE-Schwerpunkts GLUE (GPCR Ligands for Underexplored Epitopes), der aus den Arbeitsgruppen von Kolb und dessen Marburger Kollegen Professor Dr. Moritz Bünemann entstanden ist. „Wir haben computergestützt nach alternativen Bindestellen auf 113 verschiedenen GPCR-Proteinen gesucht“, berichtet Kolbs Mitarbeiter und Co-Autor Janik B. Hedderich. Dabei simulierte und analysierte der Algorithmus, was passiert, wenn kleine Moleküle an unterschiedliche Stellen der Proteine koppeln. Die Studie deckt das gesamte Ensemble aller erkennbaren Taschen ab. „Auf diese Weise fanden wir tatsächlich mehrere Bindungstaschen, die bisher nicht als Ziele von Medikamenten dienen“, so Hedderich weiter. Experimentelle Untersuchungen an zwei der gefundenen Bindungstaschen ergänzen die Berechnungen. „Wir fügten Mutationen in diese zwei Taschen ein“, erläutert Mitverfasser Moritz Bünemann. „Die Ergebnisse bestätigen, dass diese Proteinabschnitte eine ausschlaggebende Funktion für die Aktivität der GPCR-Proteine innehaben.“ Dr. Peter Kolb ist Professor für Pharmazeutische Chemie an der Philipps-Universität. Janik Hedderich fertigt seine Doktorarbeit in Kolbs Arbeitsgruppe an. Professor Dr. Moritz Bünemann lehrt in Marburg Pharmakologie und Toxikologie. Er leitet das Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmazie der Philipps-Universität und ist Sprecher des LOEWE-Schwerpunkts GLUE. GLUE wird von 2020 bis 2023 mit insgesamt 4,6 Millionen Euro durch das Forschungsförderprogramm „LOEWE“ des Landes Hessen unterstützt. Neben dem Marburger Team beteiligte sich eine kanadische Arbeitsgruppe an den Forschungsarbeiten.