LOEWE-Forschung

LOEWE 2019-2022 Der Stechende Schwarze Schwamm verteidigt sich mit Nesselzellen - ein Fall für LOEWE-TBG

Er startete als Zufallsfund im Forschungsaquarium – inzwischen ist er der Protagonist eines neuen Projekts am LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-TBG): der Stechende Schwarze Schwamm. Und sein martialischer Name täuscht nicht: Wie andere Meeresschwämme auch bildet er Stoffe zur Verteidigung gegen Fressfeinde und Konkurrenten im Korallenriff. Zusätzlich ist er jedoch mit Nesselzellen „bewaffnet“, für die sonst nur Nesseltiere wie Quallen bekannt sind. Ob diese Zellen Giftstoffe absondern und wie und warum der Stechende Schwarze Schwamm sie ausbildet, wollen Projektleiterin Dr. Maren Ziegler und Dr. Jessica Reichert künftig in ihrem Forschungsprojekt „Der evolutionäre Ursprung von Nesselzellen im Stechenden Schwarzen Schwamm Haliclona cnidata“ in ihrem Labor am Institut für Tierökologie und Spezielle Zoologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) erforschen. Damit begeben sie sich auf absolutes Neuland, denn bisher gibt es kaum gesicherte Erkenntnisse zu dieser ungewöhnlichen Spezies. Sie zählt zu den rund 11.000 bisher offiziell beschriebenen Schwamm-Arten, doch die natürliche Verbreitung des tropischen Schwamms, der auf hartem Substrat wächst, ist noch unbekannt. Möglicherweise wurde er aus Australien über Riffgestein in das Gießener Forschungs- und Klimasimulations-Aquarium „Ocean2100“ gebracht. Da er dort keinen Fressfeinden ausgesetzt ist, kann er sich ungestört über Teilung – die sogenannte vegetative Vermehrung – fortpflanzen, gut wachsen und analysiert werden. Zu seinem „Kleptocnidismus“, wörtlich übersetzt „dem Klauen von Nesselzellen“, gibt es bisher unterschiedliche Theorien: Der Schwamm könnte die Zellen oder deren Vorläuferstadien von anderen Nesseltieren wie Korallen aus der Umgebung aufnehmen. Vielleicht lebt er auch in einer Symbiose mit Nesseltieren, die diese Zellen bilden und ihm zur Verfügung stellen. Oder er hat Teile eines Nesseltiergenoms aufgenommen und kann die Zellen nun selbstständig bilden.

Schwämme kommen in marinen Lebensräumen als wichtige Bestandteile des benthischen Ökosystems vor. Der Stechende Schwarze Schwamm (Haliclona cnidata) ist leicht zu übersehen und wurde bisher nur in tropischen Meerwasseraquarien gefunden (links). Zu seiner
© Senckenberg et al. 2019

Diesen Fragen wollen Ziegler und Reichert mit experimenteller Laborforschung und Genomanalysen nachgehen. „Nesselzellen in einem Schwamm sind eine biologische Besonderheit. Der Stechende Schwarze Schwamm hat offensichtlich Mechanismen entwickelt, die es ihm ermöglichen, ihm eigentlich fremde Zellen gezielt in seinem Gewebe zu platzieren und als ‚Verteidigungsmauer‘ zu verwenden. Die evolutionären Prozesse, die hinter solchen Merkmalen stehen, faszinieren uns. Sie müssen besonders komplex sein – denn sonst würde dieses Phänomen sicherlich häufiger zu finden sein“, erläutert Reichert. „Würden wir herausfinden, dass der Schwamm selbst Mechanismen entwickelt hat, um diese Art von Zellen zu produzieren, wäre das eine Sensation, die die Systematik der Stämme der Nesseltiere und der Schwämme infrage stellen könnte. Denn Nesselzellen sind das Merkmal der Klasse der Nesseltiere“, ergänzt Ziegler, Leiterin des „Marine Holobiomics Lab“ an der JLU. Die beiden Wissenschaftlerinnen gehen jedoch nicht nur evolutionären Entwicklungen nach, sondern erforschen Korallenriffe als Ökosysteme und ihre Reaktion auf klimatische Veränderungen. Darüber hinaus beteiligen sie sich an der internationalen Forschung zum Einfluss von Mikroplastik auf Korallenriffe. Im Juli 2022 leiteten sie dazu eine Sitzung beim „15th International Coral Reef Symposium“ in Bremen. Da Schwämme das Wasser filtrieren, eine wichtige Rolle im Nahrungsnetz von Korallenriffen spielen und die Abfallprodukte anderer Organismen verarbeiten, könnte der Stechende Schwarze Schwamm künftig auch bei diesen aktuellen Fragestellungen im Blickpunkt stehen