ProLOEWE Persönlich
Professoren Dr. Kristian Kersting und Constantin A. Rothkopf, Ph.D. Zwei Wissenschaftler im Tiefenrausch

Bildunterschrift: Constantin Rothkopf (links) und Kristian Kersting (rechts), beide Professoren an der TU Darmstadt, ziehen spätestens seit ihrem ersten Treffen in Osnabrück, wo sie nach einem langen Tag an der dortigen Uni im Bar-Café „Tiefenrausch“ Forschungsideen diskutierten, an einem Strang. Dort entstanden auch erste Ideen zu einem gemeinsamen (LOEWE-)Projekt.
Herr Prof. Kersting, Herr Prof. Rothkopf, das aktuelle ProLOEWE-persönlich wird das erste Doppelportrait. Warum, das wird unseren Leserinnen und Lesern klar, sobald sie mehr zur Entstehungsgeschichte von LOEWE-WhiteBox erfahren, dessen Sprecher Sie beide sind. Was ist das Ziel, das Sie mit LOEWE-WhiteBox erreichen wollen und was macht Ihre Zusammenarbeit zu diesem Thema so speziell und untrennbar?
[Constantin A. Rothkopf] Mit LOEWE-WhiteBox wollen wir erreichen, dass Künstliche Intelligenz nicht länger eine undurchschaubare „Blackbox“ bleibt, sondern so gestaltet wird, dass wir ihre Entscheidungen verstehen und ihnen vertrauen können. Denn in vielen Bereichen reicht es nicht, wenn ein System nur richtige Ergebnisse liefert, sondern wir müssen auch nachvollziehen können, wie es zu diesen Ergebnissen gekommen ist. Stellen Sie sich zum Beispiel ein medizinisches Diagnose-System vor, das eine Therapie empfiehlt. Für Ärztinnen und Patienten ist es nicht genug zu wissen, dass „der Computer sagt: so ist es“. Sie wollen verstehen, welche Faktoren zu dieser Empfehlung geführt haben. Genau hier setzen wir mit WhiteBox an.
Das Besondere an unserem Projekt ist die enge Zusammenarbeit zweier Disziplinen, die man selten so konsequent verbindet: Künstliche Intelligenz (KI) und Kognitionswissenschaft. Die KI bringt hochleistungsfähige Verfahren mit, die Millionen Daten in kurzer Zeit verarbeiten können, aber schwer durchschaubar sind. Die Kognitionswissenschaft dagegen fragt seit Jahrzehnten: Wie erklären wir eigentlich intelligentes Verhalten beim Menschen? Auch wir Menschen sind ja eine Art Blackbox – niemand versteht das Gehirn in allen Details. Aber wir haben Wege gefunden, Verhalten auf einer höheren Ebene verständlich zu machen, etwa indem wir Ziele, Strategien oder Regeln quantitativ beschreiben und computational erklären.
Ein Beispiel: Wenn ein Kind beim Fahrradfahren lernt, Hindernissen auszuweichen, können wir das nicht durch die Verschaltung seiner Milliarden Nervenzellen erklären. Aber wir können sagen: „Das Kind schaut nach vorne, erkennt das Hindernis und entscheidet, nach links zu lenken.“ Diese Art von Erklärung ist nachvollziehbar. Natürlich haben wir in der Kognitionswissenschaft nicht nur verbale Beschreibungen, sondern wir können solche Erklärungen auch mathematisch algorithmisch formulieren. Das Ziel von WhiteBox ist es, kognitive Erklärungen auf die KI zu übertragen, damit auch Maschinen so erklärbar werden, wie wir Menschen es voneinander erwarten.
Genau diese Verbindung, die Kraft moderner KI und das Erklärungswissen der Kognitionswissenschaft, macht unser Projekt einzigartig. Nur wenn beide Disziplinen zusammenarbeiten, können wir KI entwickeln, die nicht nur leistungsfähig, sondern auch transparent, vertrauenswürdig und im besten Sinne „menschenzentriert“ ist.
Viele Menschen haben womöglich ein etwas verklärtes Bild, was es bedeutet Professor oder Professorin zu sein, können Sie uns anhand Ihres eigenen Werdegangs etwas dazu erzählen?
[Kristian Kersting] Viele Menschen stellen sich den Alltag einer Professorin oder eines Professors so vor, dass man in Ruhe über große Ideen nachdenken kann, vielleicht mit Studierenden diskutiert und so die Wissenschaft voranbringt. In Wahrheit ist der Weg dorthin und auch der Alltag selbst deutlich komplexer – und oft auch steinig.
Mein eigener Werdegang zeigt das: Es gibt keinen direkten, geraden Weg zur Professur. Man durchläuft Stationen im In- und Ausland, muss sich gegen internationale Konkurrenz behaupten und sehr viel Zeit in Anträge und Gutachten investieren. Gerade in der Arbeit zu Künstlicher Intelligenz spürt man den Widerspruch besonders stark: Die Forschung entwickelt sich exponentiell schnell, aber unser Fördersystem ist linear und langsam. Während wir eigentlich rasch neue Ideen umsetzen müssten, verlieren wir viel Zeit in langwierigen Prozessen. Das Bild, dass Professorinnen und Professoren vor allem Zeit mit Nachdenken verbringen, stimmt so also leider nicht.
Dazu kommen Herausforderungen im Wissenschaftssystem selbst: Forschungsgelder sind knapp, und wenn neue Mittel in ein zukunftsweisendes Feld wie die KI fließen, bedeutet das oft, dass andere Bereiche weniger bekommen. Das führt zu Verteilungskämpfen und manchmal auch Neid – Dinge, die man öffentlich selten sieht, die aber leider dazugehören. Und gleichzeitig wartet die Welt nicht auf deutsche Professor:innen – sie wartet auf Lösungen. Zögern wir, geben womöglich bald andere Länder die Richtung vor.
Umso wichtiger sind Erfolge wie LOEWE-WhiteBox und die beiden Exzellenzcluster „The Adaptive Mind“ und „Reasonable AI“, die auch dank WhiteBox entstanden sind. Sie sind nicht nur wissenschaftliche Leuchttürme, sondern auch ein Beweis dafür, dass wir es schaffen können, international sichtbare Strukturen aufzubauen, die Forschung und Nachwuchs gleichermaßen fördern. Für mich persönlich sind diese Projekte eine echte Erfolgsgeschichte: Wir haben erst vor neun Jahren mit der Zusammenarbeit dieser Felder an der TU Darmstadt begonnen. Sie geben Hoffnung, dass wir uns gerade in den beiden Exzellenzclustern als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch wieder Zeit zum Denken nehmen können – Zeit, die wir dringend brauchen, um den nächsten großen Schritt in der KI-Entwicklung aus Hessen heraus mitzugestalten.
Nach Ihrer Schilderung der Herausforderungen des akademischen Betriebs, was ist das Besondere am LOEWE-Programm?
[Kristian Kersting] Das LOEWE-Programm ist in Deutschland schon etwas Besonderes, weil es Freiräume schaffen kann. Viele große nationale oder europäische Programme sind langwieriger und ohne regionalen Bezug, so dass innovative Ideen in der Masse der Anträge auf der Strecke bleiben können. LOEWE setzt dagegen bewusst auf eine hessische Förderung: schnell, direkt, nah an den Forschenden und mit einem klaren Blick auf das eigene Bundesland. Fast wie eine Sparkasse. Wenn man einen Kredit bei einer großen internationalen Bank beantragt, ist der Prozess oft sehr langwierig, bürokratisch und unpersönlich. Bei einer Sparkasse vor Ort geht es viel zielgerichteter, weil sie die Region kennt und genau weiß, wo die Stärken und Bedarfe liegen.
Für uns bei WhiteBox war dieser Freiraum entscheidend. Wir konnten eine Brücke zwischen Künstlicher Intelligenz und Kognitionswissenschaft schlagen, etwas, wovon wir von Anfang an überzeugt waren, das in klassischen Programmen aber vielleicht als zu riskant oder zu ungewöhnlich gegolten hätte. LOEWE hat uns ermöglicht, mutig zu sein und interdisziplinär zu arbeiten.
Das ist auch für Hessen ein großer Vorteil: LOEWE fördert gezielt die Stärken der Region und macht sie international sichtbar. Mit WhiteBox, aber auch mit den daraus hervorgegangenen Exzellenzclustern „The Adaptive Mind“ und „Reasonable AI“, sieht man sehr deutlich, wie aus einer regionalen Förderung echte Leuchttürme entstehen können, die weit über Hessen hinausstrahlen.
Kurz gesagt: LOEWE gibt uns die Freiheit, wissenschaftlich zu denken, neue Wege auszuprobieren – und gleichzeitig trägt es dazu bei, Hessen als Standort für Spitzenforschung nachhaltig zu profilieren.
Nun läuft die Förderung Ihres LOEWE-Projekts zum Ende dieses Jahres aus, aber es ist Ihnen mit RAI und TAM gelungen, gleich zwei Exzellenzcluster zu bekommen bzw. daran beteiligt zu sein. Ein wirklich außerordentlicher Erfolg! Erklären Sie uns doch bitte einmal, warum das so wichtig ist, was es bedeutet an der Exzellenz zu arbeiten und natürlich wie viel LOEWE darin steckt.
[Constantin A. Rothkopf] Dass wir mit „The Adaptive Mind“ und „Reasonable AI“ gleich zwei Exzellenzcluster aus WhiteBox heraus aufbauen konnten, ist in der Tat ein außergewöhnlicher Erfolg, nicht nur für uns Forschende, sondern für das Land Hessen insgesamt. Denn Exzellenz bedeutet nicht, jedes Jahr eine Revolution zu versprechen. Exzellenz bedeutet, dass wir international den Takt mitbestimmen und nicht nur reagieren. Sie bedeutet höchste wissenschaftliche Qualität, kritisches Hinterfragen von Trends und die Freiheit, neue, unkonventionelle Ideen zu entwickeln. Das sind genau die Voraussetzungen, unter denen echte Durchbrüche entstehen können.
Für ein Land wie Hessen ist das von großer Bedeutung: Exzellenzcluster sind nicht nur wissenschaftliche Aushängeschilder, sie ziehen auch Talente, Unternehmen und Investitionen an. Sie schaffen ein Umfeld, in dem die besten Köpfe bleiben oder zu uns kommen, weil sie wissen, dass sie hier auf Weltniveau forschen können. So entsteht ein Innovationsökosystem, das weit über die Universitäten hinaus bis in die Wirtschaft und Gesellschaft hineinwirkt. Jede Förderung von Startups kann nicht alleine gedacht werden, sondern muss das Ökosystem eben auch mitdenken.
Und natürlich steckt in diesem Erfolg ganz viel LOEWE. Ohne die gezielte, regionale Förderung hätten wir die riskante Idee, KI und Kognitionswissenschaft systematisch zusammenzubringen, wahrscheinlich nicht verwirklichen können. LOEWE hat uns den Freiraum gegeben, Neues zu wagen. Aus diesem Freiraum sind Strukturen entstanden, die nun international sichtbar sind. Insofern kann man sagen: LOEWE war und ist ein wesentlicher Baustein für die Exzellenzcluster und Teil des Fundaments, auf dem Hessen heute international sichtbar bei Künstlicher Intelligenz und Kognitionswissenschaft mitspielt. Umso wichtiger ist es, dass Hessen nicht nachlässt bei der Förderung von Wissenschaft!
Wie schaffen Sie es von der (wissenschaftlichen) Arbeit abzuschalten und privat Zeit zu haben?
[Kristian Kersting] Ganz ehrlich: Von der Arbeit wirklich abzuschalten, ist in der Wissenschaft oft schwierig, gerade in der Forschung zur (künstlichen) Intelligenz, die sich so rasant entwickelt. Viele denken, man könnte Anträge und Konzepte einfach delegieren. Aber das stimmt nicht. Wir schreiben sie selbst, weil wir die Verantwortung tragen und den Weg vorangehen. Das kostet Zeit – Zeit, die man dann oft nicht mit Familie und Freunden verbringen kann.
Umso wichtiger ist für uns das Vertrauen und die Unterstützung, die wir von unserem Umfeld bekommen. Familie und enge Freunde wissen, dass wir nicht immer verfügbar sind, und geben uns trotzdem Rückhalt. Das ist nicht selbstverständlich und dafür sind wir sehr dankbar. Ohne diesen Rückhalt wäre diese Arbeit nicht möglich.
Das Gespräch führte Tanja Desch.
Zur Person
Prof. Kersting und Prof. Rothkopf sind Sprecher und Teilprojektleiter des LOEWE-Schwerpunkts WhiteBox, der sich mit erklärbaren Modellen für menschliche und künstliche Intelligenz auseinandersetzt.
Erschienen in ProLOEWE NEWS

Ausgabe 03.2025 | Oktober
Themen
In der Herbstausgabe der ProLOEWE-NEWS 2025 geht es um die neueste Entwicklung von LOEWE-emergenCITY, die Heinerboxen, ein Symposium zum Thema Coronaviren, zu dem LOEWE-CoroPan im September nach Gießen eingeladen hatte, und die erste Summer School von LOEWE-ADMIT auf Schloss Rauischholzhausen im hessischen Ebsdorfergrund.
ProLOEWE persönlich
ProLOEWE-Persönlich zum ersten Mal als Doppelportrait mit den beiden Professoren Kristian Kersting und Constantin Rothkopf, die in Darmstadt moderne KI und Kognitionswissenschaften im Rahmen von LOEWE-WhiteBox zusammenbringen.