ProLOEWE Persönlich
Professorin Dr. Franziska Matthäus Entwicklung digitaler Zwillinge biologischer Systeme

Frau Prof. Matthäus, Sie waren Sprecherin des von 2020 bis 2024 geförderten LOEWE-Schwerpunkts „CMMS – Mehrskalen-Modellierung in den Lebenswissenschaften“, können Sie uns die Forschung im Rahmen dieses Projekts beschreiben?
Einige Bereiche der Biowissenschaften lassen sich bereits heute mit Hilfe von Computern viel besser untersuchen als mit experimentellen Ansätzen. Mit der Entwicklung neuer mathematischer und computergestützter Modelle wollte LOEWE-CMMS diese Möglichkeiten weiter ausbauen, um komplexe, im Labor nur schwer zu erfassende Prozesse, der Forschung zugänglich zu machen. Dabei betrachteten wir verschiedene räumliche und zeitliche Skalen – von einzelnen Proteinen und ihren Wechselwirkungen bis hin zu Zellen, Gewebe und ganzen Organismen. Unser Ziel war es dabei, Systeme, ihr Verhalten und die zugrunde liegenden Mechanismen besser zu verstehen und Vorhersagen zu treffen. Ein Beispiel für eine praktische Anwendung sind Simulationen, die zeigen, wie Medikamente mit Zellrezeptoren interagieren und so ihre Wirkung entfalten. Während der Corona-Pandemie waren Mitglieder des CMMS aktiv an der Modellierung der Epidemie und an der Vorhersage des Verlaufs der Pandemie beteiligt. Der Kern unserer Arbeit ist jedoch die Grundlagenforschung. Wir versuchen ständig, unsere Modelle zu verbessern, um sie schneller und präziser zu machen, damit wir größere und komplexere biologische Systeme untersuchen können. So gewinnen wir beispielsweise detaillierte Einblicke in die Interaktion von Proteinen mit Strukturen im Inneren von Zellen und ein besseres Verständnis der Bewegung und Verformung von Geweben während der Entwicklung eines Organismus.
Sie sind Biophysikerin – dieses Fach flößt vielen Menschen Respekt ein und immer wieder hört man, dass in den naturwissenschaftlichen Fächern Frauen in der Minderheit seien. Was war für Sie der Antrieb für dieses Studium?
In der Schule war ich von allen Naturwissenschaften gleichermaßen fasziniert, und bei der Auswahl meines Studiums sollten daher möglichst viele davon enthalten sein. Das Fach Biophysik an der Humboldt-Universität war da die perfekte Lösung: Biowissenschaften, Physik, Chemie, Mathematik und Informatik waren stark vertreten. Auch im Nachhinein war das genau die richtige Entscheidung für mich – vor allem, weil im Zeitraum meines Studiums gleich nebenan noch ein weiteres „Innovationskolleg Theoretische Biologie“ mit neuen Professuren und interessanten Forschungsthemen ins Leben gerufen wurde. Die Frauen waren im Biophysikstudium übrigens nicht in der Minderheit. In der Tat lag die Quote bei ziemlich genau 50 Prozent, also perfekt. Besonders vorteilhaft an diesem Studiengang war auch die geringe Größe; schon im ersten Semester waren wir nur etwas mehr als zwanzig Studienanfänger. Damit ergab sich ein Betreuungsverhältnis, von dem viele andere Studierende nur träumen können.
Nachdem die Förderung für LOEWE-CMMS Ende 2024 ausgelaufen ist, können Sie uns sagen, was für Sie das Besondere an dem hessischen Forschungsförderungsprogramm ist?
Das LOEWE-Programm ist sehr flexibel und fördert die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Das erlaubt, ambitionierte Forschungsverbünde aufzubauen, mit denen thematisch und strukturell neue Wege ge-gangen werden können – so wie es uns im Fall von LOEWE-CMMS gelungen ist. Durch die hessische LOEWE-Förderung konnten wir in Frankfurt ein Konsortium aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammenbringen, die in verschiedenen Fachbereichen der Universität und den Max-Planck-Instituten an der Modellierung und Simulation biologischer Systeme forschten. Zudem haben wir experimentell arbeitende Gruppen integriert, die die Modellentwicklung mit ihren Daten unterstützten. Bereits zu Förderbeginn konnten wir vier zusätzliche Nachwuchsgruppen über weitere Drittmittel etablieren und in CMMS einbinden. Dadurch ist die Modellierung in den Lebenswissenschaften zu einem Schwerpunkt am FIAS (Frankfurt Institute for Advanced Studies) gewachsen. Nicht zuletzt wirkte LOEWE-CMMS auch als Katalysator für die bisher sehr erfolgreiche neue Exzellenzinitiative SCALE, deren Kernprojekt die Entwicklung eines digitalen Zwillings der Zelle vorsieht. In dieses Projekt sind zahlreiche CMMS-Forschende zentral eingebunden. Digitale Zwillinge – Multiskalen-Modelle mit stark quantitativer Ausrichtung und der Einbeziehung unterschiedlicher Modellierungsansätze, sowie künstlicher Intelligenz – stellen bereits jetzt ein wichtiges neues Kernthema des FIAS dar. Dazu haben wir in den letzten Jahren bereits erfolgreich FIAS-Konferenzen unter Beteiligung internationaler Sprecher veranstaltet.
Als Wissenschaftlerin ist der Beruf häufig weit mehr als Broterwerb und daher meist ungewöhnlich zeitintensiv, bleibt da noch Raum für andere Herzensprojekte?
Gerade wenn zu Forschung, Lehre, akademischer Selbstverwaltung und den anderen universitären Aufgaben noch Familie dazukommt, und die Notwendigkeit sich wenigstens halbwegs regelmäßig sportlich zu betätigen – auch damit das Gehirn funktionsfähig bleibt – ist es wirklich schwer, zusätzliche Aktivitäten unterzubringen. Bei Herzensprojekten klappt das aber meistens doch irgendwie. Bei mir war es vor einigen Jahren ein Buchprojekt, für das ich mit Kolleg:innen und dem Springer-Verlag Bilder gesammelt habe, die aus Modellierung, Simulation oder Datenanalysen biologischer Systeme entstanden sind, und die mich schon lange faszinierten. Im Jahr 2020 erschien dann das Buch „The Art of Theoretical Biology“ mit über 70 Beiträgen verschiedener Arbeitsgruppen aus allen Teilen der Welt. Jeder Beitrag besteht aus jeweils einem (ästhetischen, aber meist gar nicht so wissenschaftlich anmutenden) Bild und kurzen Textabschnitten zur Forschung und Entstehungsgeschichte. Einige der Bilder haben wir vorab, zur Night of Science 2018, auf dem Campus Riedberg als Banner an Gebäuden angebracht. Das mit 160 qm Fläche größte Bild bedeckte dabei die komplette Frontseite des Hörsaalzentrums. Auch heute schmücken noch Bilder aus der Reihe den langen Korridor des Biologicums, und ich freue mich jedes Mal, wenn ich daran vorbeigehe.
Das Gespräch führte Tanja Desch.
Zur Person
Prof. Dr. Franziska Matthäus war Sprecherin des von 2020 bis 2024 geförderten LOEWE-Schwerpunkts CMMS. Das Projekt, das am Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) angesiedelt war, widmete sich der Mehrskalen-Modellierung biologischer Prozesse.
Erschienen in ProLOEWE NEWS

Ausgabe 01.2025 | März
Themen
In der ersten Ausgabe der ProLOEWE-NEWS 2025 führt LOEWE-TREE-M die Leserinnen und Leser in den Wald, denn in den Kronen der Quercus robur finden die Wissenschaftler:innen, was sie für ihre Forschung brauchen. Unter der Überschrift „Wie meine LOEWE-Forschungsgruppe versucht, den Fresszellen Appetit auf Krebszellen zu machen“ gibt Mèlanie Tichet Einblick in ihre Arbeit bei LOEWE-FCI. Die Forschenden von LOEWE-DYNAMIC werfen einen Blick zurück auf ein zweitägiges Retreat im Januar dieses Jahres, in dessen Fokus innovative Anwendung von künstlicher Intelligenz und Machine Learning in der Behandlung psychischer Erkrankungen stand.
ProLOEWE persönlich
Zu Gast bei ProLOEWE-Persönlich ist im März, Prof. Franziska Matthäus, die mehr zu LOEWE-CMMS und der Entwicklung digitaler Zwillinge biologischer Systeme erzählt.