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Professorin Dr. Elisabeth Hollender Forscherin zum Zusammenhang von Sprache und Identität

Elisabeth Hollender, Sprecherin des LOEWE-Schwerpunkts "Minderheitenstudien: Sprache und Identität", ist Professorin für Judaistik an der Goethe Universität Frankfurt. Sie forscht zur Kulturgeschichte des mittelalterlichen Judentums und seiner Auseinander
© Britta Hüning

Frau Prof. Hollender, Sie sind Sprecherin des seit 2020 geförderten LOEWE-Schwerpunkts „Minderheitenstudien: Sprache und Identität“: Wie kam es zu dem Projekt und was macht es besonders?

Die Sprecherschaft des am Institut für Empirische Sprachwissenschaften entstandenen LOEWE-Projekts, in dem man schon sehr lange zu Sprachen mit kleinen Gruppen forscht, übernahm ich im Februar 2020 von meinem Vorgänger Jost Gippert.

In der Folge der Flüchtlingswelle seit 2015 wurde überdeutlich, dass (Sprach-)Minderheiten in ihrer jeweiligen Heimat, auch in Deutschland in einer besonderen Situation leben. Man suchte und fand Partner aus verschiedenen Disziplinen, um die aktuellen Fragen nach Integration, rechtlicher Situation, aber auch Bewahrung des jeweiligen eigenen kulturellen Erbes zu erforschen, und darüber hinaus auch historische Beispiele zu betrachten. Die Vielfalt der erforschten Sprachen und Kulturen –von Aramäisch bis Zaza, einer kurdischen Sprache – ist ebenso breit, wie die Vielfalt der methodischen Ansätze, die auch Erziehungswissenschaften und Informatik einbeziehen. Aber auch Geistes- und Sozialwissenschaften treffen bei uns zusammen, die eine gesellschaftliche Herausforderung der Gegenwart erkunden. Das ist nur im Verbund möglich, mit dem Blick sowohl in die Herkunftsländer als auch nach Deutschland, mit der Frage nach Selbstwahrnehmung und Wahrnehmung durch andere. 

Wie kamen Sie auf die Idee Judaistik zu studieren und was fasziniert Sie bis heute daran?

Am Anfang stand für mich das Interesse an Hebräisch, das ich als Schülerin bei einer Israelreise zum ersten Mal hörte. Eine Sprache, die vertraut klang, die ich aber nicht verstand. Im Studium habe ich dann das Mittelalter als Thema für mich entdeckt und bekam zum ersten Mal die Gelegenheit mit einer Handschrift aus dem 13. Jh. zu arbeiten. Die Faszination für das geschriebene Wort, für eine jüdische Kultur, die sich als Minderheit permanent mit ihrer Umgebung auseinandersetzt, steht bis heute im Mittelpunkt meiner Forschung. Als Professorin bin ich in der beneidenswerten Situation, meinen Student:innen die Vielfalt der jüdischen Geschichte und Kultur nahebringen zu dürfen, was mir jeden Tag neue Erkenntnis ermöglicht: Im Talmud heißt es „Viel habe ich von meinen Lehrern gelernt, mehr habe ich von meinen Kollegen gelernt, am meisten habe ich von meinen Schülern gelernt.“

Am 7. Oktober ist Israel in bestürzender Weise in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Hat das Geschehen Auswirkungen auf Ihre Arbeit und wie gehen Sie damit um?

Abgesehen vom Schmerz über die Ermordeten und Entführten und der Bewunderung für meine Kolleg:innen in Israel, die trotz andauerndem Raketenbeschuss für ihre Studierenden und Doktorand:innen da sind, aber auch Motor der Zivilbewegung sind, die sich um die Binnenflüchtlinge in Israel kümmert und dort einspringt, wo die Regierung überfordert ist – ist es vor allem der so offensichtliche Antisemitismus in Deutschland, der jetzt unsere Arbeit beeinflusst. Ich mache mir Sorgen um die Sicherheit der jüdischen Student:innen und Kolleg:innen, frage mich, was wir ihnen an die Hand geben können, damit sie die Kraft haben täglich einzustehen gegen Vorurteile und Hass. Und gerade jetzt freuen mich die guten Beziehungen zu den Kolleg:innen aus den Islamischen Studien, die mit uns gemeinsam überlegen, wie wir mit den Auswirkungen auf dem Campus, aber auch in der Gesellschaft umgehen. Es beunruhigt sehr, wenn selbst in der Universität Plakate, die an die Entführten gemahnen, innerhalb kürzester Zeit abgerissen werden. Als Ort der Bildung muss die gesamte Universität auf den gesellschaftlichen Diskurs einwirken, muss für Humanität und Respekt, aber auch gegen Antisemitismus und Rassismus eintreten.

Die LOEWE-Forschungsförderung ist eine hessische Besonderheit. Was meinen Sie, warum ist diese so wichtig – auch über unser Bundesland hinaus?

Gerade in den Geisteswissenschaften ist LOEWE eine einzigartige Möglichkeit, interdisziplinäre Forschung zu beginnen und damit Fragen zu stellen, die eine einzelne Disziplin nicht beantworten kann. Als Forscherin baue ich immer an meinem Netzwerk und suche nach denen, die ähnliche Fragen aus anderen Perspektiven stellen. Das LOEWE-Programm ermutigt uns dazu, über die unmittelbare Umgebung an der eigenen Universität hinaus Partner zu finden; es hilft uns, aus Ideen echte Projekte zu machen. Im LOEWE-Schwerpunkt haben wir die Zeit, unsere Ergebnisse zusammenzutragen, zu vergleichen und zu bewerten. Unsere Doktorand:innen und PostDocs lernen die Methoden anderer Disziplinen kennen und schätzen. Sie bauen ihre ersten eigenen interdisziplinären Netzwerke und bereiten sich so auf ihre eigene wissenschaftliche Laufbahn vor.

Wenn man wie Sie in der Forschung arbeitet, ist das meist viel mehr als ein Beruf – eher Berufung. Haben Sie trotzdem noch Zeit für Hobbies oder woraus schöpfen Sie in Ihrer Freizeit Inspiration?

Ich habe das große Glück, aus meiner leidenschaftlichen Neugierde und dem Thema, das mich begeistert, meinen Beruf machen zu können. Über die Arbeit in Frankfurt hinaus finde ich jedes Jahr Zeit und Gelegenheit, ein paar Wochen in der National Library of Israel zu verbringen, um Forschung so zu betreiben, wie ich sie am liebsten mag: mit mittelalterlichen Handschriften, einem nahezu unerschöpflichen Bestand an Fachpublikationen, und einer Vielzahl von Kollegen, die am gleichen Ort forschen und auch Zeit finden, miteinander zu sprechen. Dort finde ich die Ruhe, begonnene Projekte abzuschließen, aber auch die Anregung für neue Projekte und Partner für neue Kooperationen.

Zur Person

  • Sprecherin des LOEWE-Schwerpunkts Minderheitenstudien
  • Professorin für Judaistik am Seminar für Judaistik der Goethe-Universität Frankfurt

Erschienen in ProLOEWE NEWS

Ausgabe 03.2023 / Dezember

Themen

Auch in der Dezemberausgabe der ProLOEWE-NEWS 2023 erwartet Sie ein breites Spektrum aus aktuellen Themen aus den LOEWE-Projekten: Von Projekten, die zeigen, wie Wissenschaft "funktioniert" über Forschung von LOEWE-TBG zu gefährlichen Krankheitserregern bis hin zum Leishmaniose-Selbsttest von LOEWE-DRUID, der in Produktion geht. Weitere Highlights sind die Rückblicke zur Eröffnung des aus LOEWE-IDG hervorgegangenen Offenbach Instituts für Mobilitätsdesign (OIMD) und der LOEWE-AO-Finissage.

ProLOEWE persönlich

ProLOEWE persönlich mit Dr. Elisabeth Hollender, Sprecherin des LOWE-Schwerpunkts „Minderheitenstudien: Sprache und Identität“ und Professorin für Judaistik an der Goethe Universität Frankfurt. Sie forscht zur Kulturgeschichte des mittelalterlichen Judentums und seiner Auseinandersetzung mit der Umgebungskultur.

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