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Professor Dr. Jan Hendrik Bruinier Der Zahlenversteher

Auf das Zusammenspiel von Geometrie und Zahlentheorie kommt es an im LOEWE-Schwerpunkt USAG, der von Jan Hendrik Bruinier koordiniert wird.
© Angelika Zinzow Fotografie

Professor Dr. Bruinier „Uniformisierte Strukturen in Arithmetik und Geometrie (USAG)“, so heißt Ihr LOEWE-Schwerpunkt, der seit 2018 gefördert wird. Können Sie uns kurz beschreiben, worum es dabei geht und wieso es wichtig ist dazu zu forschen? Die naturwissenschaftliche Beschreibung der Welt, in der wir leben, beruht oft auf geometrischen Modellen. Zum Beispiel werden in der allgemeinen Relativitätstheorie Raum und Zeit gemeinsam in der vierdimensionalen Raumzeit vereint. Die Gravitation wird mithilfe der Krümmung der Raumzeit beschrieben, was auf komplizierte geometrische Räume führt.

Die Idee der Uniformisierung besteht darin, solche komplizierten Räume durch einfachere Räume zu ersetzen, ohne dabei die Struktur im Kleinen zu verändern. Dabei können wichtige Eigenschaften des komplizierten Raumes durch Symmetrien des einfachen Raumes beschrieben werden. Es gibt verschiedene moderne Verallgemeinerungen dieser Grundidee, die wir im LOEWE-Schwerpunkt verwenden, um geometrische und arithmetische Klassifikationsprobleme zu untersuchen. Wichtige praktische Anwendungen finden sich unter anderem bei Verschlüsselungsverfahren und digitalen Signaturen, die etwa beim Internetbanking verwendet werden.

Können Sie sich noch daran erinnern, wann und wie Ihre Leidenschaft für Mathematik geweckt wurde und was sie ausmacht? Das war im Gymnasium in der siebten oder achten Klasse. Als Wahlpflichtunterricht hatte ich Zahlentheorie gewählt. Hier haben wir uns zum Beispiel mit Primzahlen beschäftigt. Ich fand es faszinierend, zu erfahren, dass Euklid bereits im dritten Jahrhundert vor Christus beweisen konnte, dass es unendlich viele Primzahlen gibt. Dennoch sind viele wichtige Fragen bis heute unverstanden. Zum Beispiel wird vermutet, dass es auch unendlich viele Primzahlzwillinge gibt – dies sind Paare von Primzahlen mit Abstand 2, wie zum Beispiel 5 und 7, oder 29 und 31, oder 101 und 103. Bis heute ist es nicht gelungen, dies zu beweisen. Im Jahr 2013 gelang dem Mathematiker Yitang Zhang ein großer Durchbruch, als er zeigen konnte, dass es unendlich viele Paare von Primzahlen mit Abstand von weniger als 70 Millionen gibt. Mit ähnlichen Methoden konnte darauf aufbauend gezeigt werden, dass es unendlich viele Paare von Primzahlen mit Abstand von weniger als 246 gibt. Die eigentliche Primzahlzwilling-Vermutung scheint sich so aber nicht knacken zu lassen.

Bei Wikipedia findet man folgenden Eintrag zu Ihnen: „2011 gab er (Jan Hendrik Bruinier) zusammen mit Ken Ono eine endliche algebraische Formel für die Werte der Partitionsfunktion an. Beiden gelang damit ein großer Durchbruch.“ Was bedeutet diese Entdeckung für die Mathematik und für Sie persönlich? Eine Partition einer natürlichen Zahl n ist eine Darstellung von n als Summe natürlicher Zahlen. Die Partitionsfunktion p(n) zählt die Anzahl der Partitionen von n. Zum Beispiel ist 

4 = 3 + 1 = 2 + 2 = 2 + 1 + 1 = 1 + 1 + 1 + 1.

Also hat die Zahl 4 genau 5 Partitionen, man schreibt auch p(4) = 5. Partitionen spielen an ganz unterschiedlichen Stellen eine wichtige Rolle, so zum Beispiel immer, wenn es um Symmetrien geht, in der Kombinatorik oder in der Mathematischen Physik. Die Partitionsfunktion hat einige überraschende Eigenschaften, beispielsweise wächst sie sehr schnell. Von Hand gut nachrechnen kann man noch, dass p(5) = 7 ist und p(10) = 42. Für die Zahl 100 findet man aber bereits 190569292 Partitionen und für 200 fast 4 Billionen. Eine berühmte Formel von Hardy Rademacher und Ramanujan erlaubt es, die Partitionsfunktion durch eine unendliche Summe zu berechnen. Ken Ono und ich haben eine neue Formel gefunden, die die Partitionsfunktion als eine endliche Summe algebraischer Zahlen darstellt. Diese algebraischen Zahlen erhält man als spezielle Werte einer gewissen Modulfunktion, die durch besondere Symmetrien ausgezeichnet ist.

Die Formel für die Partitionsfunktion ist ein schönes Beispiel für eine allgemeinere Theorie, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurde. Es hat mir große Freude bereitet, daran maßgeblich mitzuarbeiten.

USAG ist nun im dritten Jahr der LOEWE-Förderung: Was ist für Sie das Besondere am Forschungsförderungsprogramm des Landes Hessen? Das LOEWE-Programm mit seiner themenoffenen und an wissenschaftlicher Exzellenz ausgerichteten Förderung halte ich für sehr attraktiv. Die Förderung stärkt spannende und erfolgversprechende Initiativen auch im Hinblick auf weitere Verbundforschungsprogramme. Im Falle unseres Schwerpunktes USAG hat LOEWE besonders gut gepasst. Es bestand bereits seit einigen Jahren eine enge Kooperation der Arbeitsgruppen im Bereich Algebra und Geometrie an der TU Darmstadt und der GU Frankfurt, etwa im Rahmen eines gemeinsames Forschungsseminars und gemeinsam betreuter Promotionen. Im Rahmen der LOEWE-Förderung können wir diese Zusammenarbeit weiter stärken und vertiefen.

Wenn Sie eine Pause vom Uni- beziehungsweise Forschungsalltag brauchen, womit schaffen Sie sich einen Ausgleich? Ich interessiere mich für Musik und für Sport. Zum Beispiel laufe ich regelmäßig, das hilft, um den Kopf freizubekommen. Mit der Arbeitsgruppe spielen wir jede Woche Fußball. Dafür haben wir einen Platz im Hochschulstadion gemietet. Um die Motivation zu steigern, wird nach dem Spiel immer eine Medaille für das Tor der Woche verliehen. (Bruinier lacht).

Familie und Beruf zu vereinbaren ist für die meisten Frauen auch heute noch ein nicht ganz triviales Thema. Wie erleben Sie als Familienvater das? Ich bin sehr glücklich, eine Familie mit drei Kindern zu haben. Natürlich erhöht sich mit Kindern die Komplexität im Leben insgesamt. Man muss immer wieder Kompromisse finden, zum Beispiel was die Mobilität und Flexibilität angeht. Viele Einladungen zu spannenden Konferenzen kann man auf einmal nicht mehr annehmen, und die Arbeitszeiten müssen dem Familienleben angepasst werden.

Ich hatte das Glück, relativ schnell auf eine unbefristete Professur berufen zu werden. Die damit verbundene Planungssicherheit erleichtert die Organisation des Familienlebens ungemein. Ich glaube, dass gerade für viele Nachwuchswissenschaftlerinnen die unsicheren Perspektiven in der Postdoc-Phase abschreckend für eine Karriere in der Wissenschaft sind. 

Zur Person

  • Sprecher des LOEWE-Schwerpunkts USAG 

Erschienen in ProLOEWE NEWS

Ausgabe 01.2020 / März

Themen

Die ProLOEWE NEWS steht unter dem Schwerpunkt "WELTWEITE VIRUSAUSBRÜCHE, CYBERATTACKEN, NATURKATASTROPHEN - WIE SCHÜTZEN WIR UNS IN ZUKUNFT VOR KRISEN?" Außerdem etwas zu dem neuen LOEWE-Schwerpunkt Minderheitenstudien: Sprache und Identität.

ProLOEWE persönlich

Unter ProLOEWE persönlich finden Sie ein Portrait von Jan Hendrik Bruinier, Sprecher des LOEWE-Schwerpunkts Uniformisierte Strukturen in Arithmetik und Geometrie (USAG).

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