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Vampire mit Gendefekt – umfassende Genomanalyse unter Beteiligung von LOEWE-TBG gibt Aufschluss über Ernährung und Evolution von Vampirfledermäusen

© Brock Fenton

Vampirfledermäuse machen ihrem Namen alle Ehre: Sie ernähren sich ausschließlich vom Blut anderer Wirbeltiere. Doch wie kommen sie mit dieser einseitigen Ernährung zurecht? Im Fachjournal „Science Advances“ ist dazu jetzt eine internationale Studie erschienen, die von Wissenschaftler:innen des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik in Frankfurt und des Max Planck-Instituts für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden geleitet wurde. Darin wird gezeigt, dass der Vampirfledermaus dreizehn der Gene fehlen, die andere Fledermausarten besitzen. Zwar finden sich die DNA-Abschnitte dieser Gene noch in der Vampirfledermaus, die Gene selbst sind jedoch durch Mutationen zerstört, wodurch ihre Funktion verloren gegangen ist. Herausgefunden haben Forscher:innen dies mit Hilfe eines neu sequenzierten Genoms der Gemeinen Vampirfledermaus (Desmodus rotundus) und eines breit angelegten Vergleichs der Genome von 26 anderen Fledermausarten.

Demnach spielte der Genverlust eine grundlegende Rolle bei Anpassungen an die ausschließlich aus Blut bestehende Nahrung der „Vampire“. So sind zwei der defekten Gene in anderen Tieren für die Ausschüttung des blutzuckerregulierenden Hormons Insulin verantwortlich. Vampirfledermäuse hingegen bilden nur sehr wenig Insulin und haben die betroffenen Gene offenbar verloren, weil ihre blutige Nahrung nur wenig Zucker enthält. Während Blut zwar arm an Kohlenhydraten und Fetten ist, stellt der hohe Eisenanteil eine große Herausforderung dar: So nehmen die Vampirfledermäuse durchschnittlich etwa 800-mal mehr Eisen zu sich als ein Mensch. „Wir gehen davon aus, dass der evolutionäre Verlust dieses Gens wahrscheinlich eine Anpassung an die eisenhaltige Blut-Nahrung ist“, berichtet Moritz Blumer vom Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden, der Erstautor der Studie.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Untersuchung: Der Verlust eines weiteren Gens könnte Einfluss auf die Evolution bestimmter kognitiver Fähigkeiten der Vampirfledermäuse ausgeübt haben, so die Vermutung der Wissenschaftler:innen. So ist bei den Vampirfledermäusen ein Gen defekt, das normalerweise im Gehirn ein Stoffwechselprodukt abbaut. Dieses bedingt die kognitive Leistungsfähigkeit und das Sozialverhalten. Eine höhere Konzentration dieses Stoffwechselprodukts kann Gedächtnis, Lernen und soziales Verhalten fördern, wie mehrere Studien an anderen Säugetieren nahelegen. Vampirfledermäuse haben im Vergleich zu anderen Fledermausarten ein außergewöhnliches Gedächtnis sowie Sozialverhalten. So teilen sie Blut mit anderen hungernden Individuen, und zwar hauptsächlich mit denjenigen, die ihnen in der Vergangenheit geholfen haben – eine Fähigkeit, die ein sehr gutes soziales Langzeitgedächtnis erfordert.

 „Doch Anpassungen an diese einzigartige Ernährung sind nicht nur auf den Verlust von Genen zurückzuführen“, sagt Studienleiter Michael Hiller, Professor für Vergleichende Genomik am LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik. Weiterhin gibt es neben dem Gemeinen Vampir noch zwei weitere Vampirfledermausarten, deren Genome Hillers Team derzeit sequenziert. „Unser Ziel ist es, ein vollständiges Bild der genomischen Änderungen bei allen drei Vampirfledermausarten zu erhalten. Und da gibt es noch viel zu lernen!“, so Hiller.