Übersicht

Nachrichten

LOEWE-GLUE – Ein Computerprogramm bereichert die Arzneimittelforschung: Größte Proteinfamilie enthält ungenutzte Angriffspunkte für Heilmittel

Ein internationales Team um die Marburger Wissenschaftler und LOEWE-GLUE-Leiter Dr. Peter Kolb, Professor für Pharmazeutische Chemie und Dr. Moritz Bünemann, Professor für Pharmakologie und Toxikologie, hat eine Software zu Hilfe genommen, um neue Angriffspunkte für künftige Medikamente zu finden. Das Forschungsteam entdeckte bei einer der größten Proteinfamilien mehrere neue Kopplungsstellen, an denen Wirkstoffe ansetzen können. Die Ergebnisse wurden im Wissenschaftsmagazin „Nature Communications“ veröffentlicht.

G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, kurz GPCR sind an zahlreichen Lebensvorgängen beteiligt und bilden die größte Familie von Proteinen, die als Ziel von Medikamenten dienen. Hierzu zählen Entzündungen, die Verarbeitung von Sinnesempfindungen und die Wirkung von Hormonen. Fast ein Drittel der rezeptpflichtigen Arzneimittel richtet sich gegen GPCR. „Um die Proteine zu blockieren oder zu stimulieren, benötigt man Wirkstoffe, die genau in eine der zahlreichen Bindungstaschen der Proteine passen“, erläutert Peter Kolb.

GPCR-Proteine dienen dazu, Signale von der Außenseite einer Zelle in deren Inneres weiterzuleiten, so dass die Zelle auf Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren kann. Um ihre Wirkung zu entfalten, koppeln Hormone und andere körpereigene Botenstoffe an die Bindungstaschen der GPCR-Proteine. Man kann die Wirkung dieser Botenstoffe unterdrücken, indem man die Bindungstaschen anderweitig besetzt.

„Die bisher genutzten Kopplungsstellen ähneln einander jedoch häufig sehr stark“, führt Kolb aus; „deswegen wirken Arzneistoffe oft zu wenig selektiv“. Dadurch steigt die Gefahr von Nebenwirkungen. So verwendet man Betablocker, um ein GPCR-Protein im Herzen zu blockieren; schaltet man dasselbe Ziel jedoch im Lungengewebe aus, kann dies Asthmaanfälle auslösen.

„Wir haben computergestützt nach alternativen Bindestellen auf 113 verschiedenen GPCR-Proteinen gesucht“, berichtet Kolbs Mitarbeiter und Koautor Janik B. Hedderich. Dabei simulierte und analysierte der Algorithmus, was passiert, wenn kleine Moleküle an unterschiedliche Stellen der Proteine koppeln. Die Studie deckt das gesamte Ensemble aller erkennbaren Taschen ab. „Auf diese Weise fanden wir tatsächlich mehrere Bindungstaschen, die bisher nicht als Ziel von Medikamenten dienen“, führt der Doktorand aus.

Die Studie stellt die derzeit umfassendste Analyse von GPCR-Bindungstaschen dar.

Originalveröffentlichung: Janik B. Hedderich & al.: The pocketome of G protein-coupled receptors reveals previously untargeted allosteric sites, Nature Communication 2022, DOI: 10.1038/s41467-022-29609-6